Marokko 2009

Es regnet in Strömen. Ungefähr 100 Marokkaner haben es unter das kleine Vordach der alten und verdreckten Abfertigungsbude des marokkanischen Grenzpostens hier an am Grenzübergang von spanisch Mellila nach marokkanisch Beni Anzar geschafft. Der Rest, und dazu gehöre ich, steht noch im Regen und wartet darauf sich endlich unter das Dach flüchten zu können. Ralf passt auf die Mopeds auf, damit in dem ganzen Gewusel, dass hier an der Grenze herrscht, auch ja nichts von unserer Ausrüstung abhanden kommt.

Nach gut einer Stunde bin ich in dem Menschenknäuel unter dem Vordach und nach zwei weiteren menschenverachtenden Stunden haben wir sowohl die Einreisestempel als auch die abgestempelten Fahrzeugpapiere und wir rollen im Schritttempo an weiteren drei(!) Kontrollen vorbei hinaus ins endgültige Chaos von Beni Anzar bzw. Nador. Der Regen hat nicht aufgehört und durch den Dreck auf den Strassen sind wir nach 10 Minuten von Helm bis Stiefel mit einer braunen Schmierschicht überzogen.

130 Km weiter erreichen wir Taourirt, den Einstiegsort für die Fahrt über das Plateau du Rekkam. Zusammen mit einer Fußballmannschaft aus der dritten marokkanischen Liga essen wir zu Mittag und lassen uns erklären, dass Salat für Leistungssportler ausgesprochen schädlich und nur der Berg gegrillter Hackfleischbällchen, die vor den Fußballern auf dem Tisch steht, die richtige Ernährung ist. Die Meinung wir vehement vom Trainer bestätigt, wir werfen unseren Glauben an Ernährung über Bord und greifen nach mehreren Einladungen mit den blosen Fingern kräftig zu.

Noch schnell die Maschinen mit 30 Litern Sprit aufgetankt, 8l Wasser pro Mann gebunkert und wir gehen die Sache an. Der Einstieg auf die Strecke ist unscheinbar und ohne genaue Beschreibung oder GPS-Daten nicht zu finden. Das schmale Teerband (wir sollten es noch schmerzlich vermissen) schlängelt sich durch kleine Dörfer und Felder knapp 100 km Richtung Süden. Der letzte Ort ist erreicht und somit auch das Ende der Teerstrasse und der Beginn der Piste. Das Wetter ist schlecht und Regen begleitet uns in kurzen Abständen. Der anfängliche Schotter geht in roten Laterit über. Bei Trockenheit schön zu befahren, jetzt bei Regen gleicht er Schmierseife. Wir bekommen schon leichte Panikattacken beim dem Gedanken, die nächsten 300 Km im Regen auf ausgewaschenen und tief verspurten Schlammpisten vorankommen zu müssen. Doch je weiter wir nach Süden kommen, desto besser wird das Wetter und am späten Nachmittag klart es auf, wir fliegen über das wellige Plateau und wir sind in unserem Element. Auch sieht es so aus, als machen sich unsere Anstrengungen in Sache Gewichtseinsparungen durchaus positiv bemerkbar. Ralf hat das Rahmenheck der Honda XR 650 R verstärkt und sein Gepäck um 5 Kg reduziert. Ich habe gegenüber dem Vorjahr nochmals aufgerüstet und mir eine KTM 625 SXC Supercompetition besorgt. 132 Kg Leergewicht, ein 30 Liter Tank und jede Menge Kraft in allen (Motor-)Lebenslagen stehen mir jetzt zur Verfügung. Gepäck, also Satteltaschen, Werkzeug, Ersatzteile, Kocher und Verpflegung sind auf 20 Kilo pro Mann reduziert worden.

Der nächste Morgen bringt kalten Wind, aber herrlich klare Luft. Wir frühstücken und gehen die nächsten 350 Pistenkilometer an. Dieses mal wollen wir zumindest auf den Wüstenpassagen alle geplanten Strecken abfahren. Und es läuft super. Das Wetter ist gut, die Temperaturen angenehm niedrig und wir kommen sehr gut voran. Am späten Nachmittag, fast 450 Pistenkilometer liegen schon hinter uns, fahren wir auf sehr einsamen Pisten Richtung algerische Grenze. Das GPS zeigt an, dass wir uns keine zwei Kilometer mehr von der Grenze entfernt befinden und die vor mir liegende Piste macht keine Anstalten endlich nach rechts abzuknicken. Eine algerische Grenzstation ist auf dem gegenüberliegenden Plateau bereits auszumachen. Das Problem ist nur, dass der Grenzverlauf hier im Süden nicht eindeutig festgelegt ist. Wir beschließen weiterzufahren und hoffen auf einen Richtungswechsel der Piste, wie er auf dem GPS-Track dargestellt ist. Und plötzlich ist der Knick da und die Piste bahnt sich einen Weg über die Hochebene hinunter in ein breites Wüstental. Die Sonne schickt sich an unterzugehen, wir aber wollen noch einen sicheren Abstand zur Grenze herausfahren und treiben die Maschinen noch einmal an. Im Schutze eines Felsenhaufens schlagen wir das Zelt auf, kochen uns noch Couscous mit Soße und verkriechen uns völlig ausgelaugt, aber begeistert von den Eindrücken des Fahrtages, in unsere Schlafsäcke.

Der nächste Tag bringt eine perfekte Piste und tolles Sandfahren an den Dünen des Erg Chebbi. Im Jahr zuvor (siehe Reisebericht "Marokko im Schnelldurchlauf") hatten wir aufgrund der KTM 950 und deren Unfahrbarkeit diesen Teil der Route streichen müssen. In diesem Jahr steht dieser Teil der Tour an oberster Stelle. Die Ostseite des Erg Chebbi. Schon am frühen Vormittag sehen wir die rostroten Dünenberge aus der Ferne. Wir verlassen den sicheren GPS-Track und tasten uns in die Vorläufer der Dünengiganten hinein. Mit den leichten Maschinen ist es ein richtiger Spaß über die Dünen zu gleiten oder zwischen ihnen hindurch zufahren. Wir werden richtig übermütig, als wir merken, wie gut sich die Mopeds durch den Sand bewegen lassen und wie gut wir mittlerweile mit den Maschinen umgehen können. Bei Ralf, dem alten Motocrosser, sowieso kein Thema.

Wir verbringen fast den ganzen Vormittag mit filmen, fotografieren und Mopeds durch den Sand treiben. Mittagspause mit Omelette und kalten Pommes dann im Örtchen Merzouga. DER Touristenort schlechthin und die Stimmung ist aufgrund ausbleibender Touristenströme mehr als schlecht. Eine richtige Tankstelle gibt es nicht und wir tanken beim örtlichen Hinterhoftankwart mit Fass, Trichter und Plastikkanister. 300 Km Piste liegen vor uns und wir gehen sie gleich flott an. Sandiger als im letzten Jahr, aber weitaus schneller sind wir mit den wendigen und starken Maschinen unterwegs. Kein Sandsturm trübt die Sicht und wir kommen trotzt stark verspurter und sandiger Pisten sehr gut voran. Es ist fantastisch!! Zum Teil sind die Ebenen 30, 40 Kilometer lang und auch oft so breit. Wir fahren wie im Rausch und erleben auch Unglaubliches: Bei einer Rast mitten im nirgendwo hören wir plötzlich Stimmen. Wenige Minuten später kommen ein Mann und ein kleiner Bub mit einem Mofa angeschoben. Woher die beiden kamen wissen wir nicht. Ohne Benzin und fast ohne Wasser stehen sie plötzlich vor uns. Wir geben ihnen Benzin, der aber nichts nützt, weil sie einen Zweitakter haben. Außerdem versorgen wir sie mit Wasser und Brot. Der nächste Ort ist nach unseren Informationen mindestens 100 km weit entfernt.

Es ist schon Nacht, als wir völlig ausgepowert die Teerstrasse Richtung Mhamid erreichen. Wir beschliessen noch 30 km bis Mhamid zu fahren um dort einen Campingplatz mit allen Annehmlichkeiten zu finden. Wir mieten eine Zeltunterkunft, duschen nach drei Tagen zum ersten Mal, essen ausgiebig und fallen in einen tiefen Schlaf. Am nächsten Tag ist ersteinmal Pause angesagt. Der Chef der Anlage kümmert sich um uns und erklärt uns so einiges. Gartenbau, Oasenwirtschaft, die Bauweise der Lehm-Gebäude. Auch die Welt und ihre Probleme sind den Menschen nicht fremd und wenn man ein wenig französisch kann und sich für die Menschen interessiert, wird es umgehend gedankt. Nach einem ausgiebigen Mittagessen machen wir uns gegen 4 Uhr nachmittags wieder auf den Weg, wir wollen die letzten 200 Wüstenkilometer in Angriff nehmen. 12 Motorräder mit Begleitfahrzeug haben das gleiche vor und fast sind wir schneller als die Jungs ohne Gepäck. Wir lassen ihnen den Vortritt, denn für uns ist nicht nur Fahren wichtig. 80 km nach Mhamid finden wir ein schönes Plätzchen für unsere letzte einsame Wüstennacht. Es ist mild und windstill und so sollten Wüstennächte sein. Wer einmal die Stille, den Sternenhimmel und die Freiheit dort erlebt hat, wird süchtig danach, wie beschwerlich der Weg dorthin auch immer sein mag.

Am nächsten Morgen erreichen wir das schöne Städtchen Foum Zguid. Von weitem leuchten die weißgetünchten Gebäude. Erst als wir den Ort erreichen erkennen wir die Neubauviertel für die Militärangehörigen, die am südlichen Stadtrand entstehen. Unter einer Platane im Ortszentrum lassen wir uns nieder und geniessen das erste kalte Bier in Marokko. Der Ober ist freundlich aber reserviert. Erst beim Nachfragen erfahren wir mehr über die Situation. Geld fliest vom Staat nur ins Militär und dessen Einrichtungen. Für den normalen Marokkaner bleibt da nichts übrig. Die Weltwirtschaftskrise tut ihr übriges und lässt den notwendigen Touristenstrom allmählich versiegen. Die Stimmung unter den Marokkanern ist schlecht. Die meisten wollen weg. Angeblich sind die angestammten Einwohner der Küstenregion am Mittelmeer bereits zu 60% emigriert. Aufgefüllt wurden die Lücken von Menschen aus dem Süden. Wie in den meisten Entwicklungsländern versagen auch hier in Marokko die Eliten. Den Reichen ist es egal, wie die Menschen leben, Hauptsache ihre Pfründe sind gesichert. Dieser Tanz auf dem Vulkan wird irgendwann mit einer Explosion schrecklich zu Ende gehen und wir in Europa werden diese Erruption sehr deutlich zu spüren bekommen.

Die nächsten Kilometer spulen wir auf Teer Richtung Marrakech ab. Oben auf dem Tizi n Tichka Pass ein kurzer Halt und weiter geht's. Die Strecke nach Demnate, in unseren Aufzeichnungen noch als Piste gekennzeichnet, ist wiedererwarten geteert. Trotz Teer brauchen wir sehr lange bis wir kurz vor Sonnenuntergang Demnate erreichen. Wir durchfahren atemberaubende Landschaften mit schneebedeckten Bergen jenseits der 3000er Grenze. Die Orte und Weiler sind durch ihre Erdfarben fast nicht von den Hügeln zu unterscheiden. Wären die weißen Satellitenschüsseln nicht auf den Dächern montiert, könnte man meinen, die Zeit steht seit 1000 Jahren still. Nach den Touristenströmen auf der Hauptstrecke zwischen Marrakech und Quarzazate sind wir hier wieder unter Marokkanern.

Noch während der Nacht zollen wir den langen Wüstenetappen Tribut. Ralf kotzt sich die Seele aus dem Leib und der Rest, der noch im Körper verblieben ist, bahnt sich seinen Weg durch den Darm. Völlig ausgemergelt steigt er am nächsten Morgen auf die Honda. Den Versuch eine Verbindungspiste in Angriff zu nehmen brechen wir nach 10 Kilometern sehr schlechter Strecke ab. Ralfs Zustand verschlechtert sich. Wir versuchen stattdessen eine kleine Teerstrasse zu nehmen und nach weiteren 20 Kilometern löst sich auch diese Teerstrasse in einer staubigen Piste auf. Trotz GPS-Daten und 250.000er Detailkarten wissen wir nach 100 km Fahrtstrecke nicht mehr wo wir sind und unsere Lage bessert sich nicht. Erst nach über 180 Kilometern und über 8 Stunden Fahrzeit erreichen wir das Städtchen Azilal. Auch meine Kräfte sind jetzt am Ende und auch mein Magen rebelliert gegen die Anstrengungen und die fremde Kost.

Der Tiefpunkt der Reise. An eine Längsquerung des Atlas-Gebirges auf Schotter ist nicht mehr zu denken. Ich habe die Strecke hier in den Bergen völlig unterschätzt. Für die fast 1.000 km Schotter muß man wahrscheinlich 5-7 Tage veranschlagen. Dann wäre Marokko fast ohne Teer zu befahren. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben.

Entkräftet, verbringen wir die letzten beiden Tage damit 700 Km bis zum Hafen runterzuspulen. Die landschaftlichen Höhepunkte können wir leider nicht mehr geniessen.
Die Ausreise und Fährüberfahrt nach Almeria verläuft planmässig. Erschöpft, aber voll eingebrannter Bilder und Erfahrungen fallen wir im Naturpark Cabo de Gata bei Almeria an einen menschenleeren Strand. In unserer "Stammkneipe" in Las Negras holen wir die versäumten Biere, die es in Marokko nicht gab, nach. Am späten Nachmittag verstauen wir die Mopeds wieder in unserer kleinen Hütte in der Nähe von Almeria und 6 Stunden später landen wir in München.

Fazit:
Marokko ist aus meiner Sicht das landschaftlich interessanteste aller am Mittelmeer angrenzenden Länder. Das gesamte Land ist auf Teer gut zu befahren und es bedarf dafür keines speziellen Motorrads bzw spezieller Ausrüstung. Auf den Teerstrecken trifft man auch jede Menge Motorradfahrer. Anders auf den Wüstenpisten und im Gebirge. Wir haben auf 1.000 Pistenkilometern keinen einzigen Motorradfahrer getroffen. Die Ausnahme war eine geführte Tour. Je besser man Motorradfahren kann, desto weniger muß man auf Gewicht und Kraft der Maschine achten. Wenn es richtig Spaß machen soll, sollte man aber schon die richtige Wahl treffen. 20 Kilogramm Mehrgewicht, können aus einer Tour eine Tortur machen (Zitat Thomas Trossmann; und der Mann hat recht). Die Distanzen sollte man nicht zu lange ansetzen. Ausreichend Pausentage sind auch sinnvoll investiert.



Es gibt dazu auch ein Video: Marokko-Video(Das Video ist im "m4v-Format". Abspielen tut es u. a. der VLC-Player.)

Jürgen Groll

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